Und warum das auch für die KI gilt.
Neulich in einer Schreibwerkstatt: Ein Dutzend Menschen, die ihre innersten Gefühle zu Papier bringen – umringt von selbstgebackenen Keksen und dampfenden Teetassen (Klischee-Alarm!). Es läuft alles gut, bis der Moment kommt, in dem die Kursleiterin vorschlägt, einen Satz umzuformulieren. Und dann passiert es – mit der Unvermeidlichkeit eines Naturgesetzes kommt die Reaktion: „Aber genau so habe ich das gefühlt!“, hört man die zitternde Stimme des Kritisierten.
Ah ja, das Gefühl. Dieses mystische Etwas, das angeblich direkt von unseren Eingeweiden in unsere Worte fließt, unverfälscht wie ein kristallklarer Gebirgsbach in die PET-Flasche. Als würde unser Gehirn einen direkten Gefühls-zu-Text-Übersetzer besitzen, der automatisch die perfekten Worte ausspuckt. Erstaunlich nur, dass diese „authentischen“ Gefühlsübersetzungen sich verdächtig oft anhören wie Schlagertexte, Pilcher-Dialoge oder Insta-Motivationssprüche.
Unbeschreiblich schön oder unendlich frei?
„Es war so unbeschreiblich schön“ – tja, da haben wir’s: Wenn es wirklich unbeschreiblich ist, sollten wir vielleicht etwas länger nach einer Beschreibung suchen. Oder: „Ein Gefühl von unendlicher Freiheit durchströmte mich“ – wobei „unendlich“ vermutlich nach zwei Minuten durch das vibrierende Handy unterbrochen wurde. Bitte nicht falsch verstehen: Gefühle sind essenziell und wertvoll. Aber zwischen dem Fühlen und dem Schreiben liegt ein wichtiger Prozess. Es ist, als würden wir uns durch einen Dschungel voller Fertigphrasen kämpfen müssen, um zu den Worten zu gelangen, die unsere Erfahrung wirklich einfangen.
Katzenhaarbüschel, die ins Herz treffen
Im oben genannten Fall ging es um den Tod einer geliebten Katze und die kritisierte Beschreibung war „Mein Herz zerbrach in tausend Stücke“. Ob er die Scherben wirklich gezählt hat? Wohl eher nicht. Was ihm aber dann nach dem kränkenden Dämpfer und etwas Nachdenken einfiel, war großartig. Er erzählte, warum er 3 Monate lang die leere Katzenklappe nicht abmontieren konnte. Wie er beim Staubsaugen um das letzte Katzenhaarbüschel herumgesaugt hat. Das traf mitten ins Herz – ohne dass auch nur ein einziges Mal das Wort “Herz” vorkam. Das war nicht nur authentischer – es war auch ein stärkerer Text.
Das Paradoxe ist ja: Je intensiver wir etwas erleben, desto größer ist die Gefahr, dass wir in sprachliche Schablonen rutschen. Als würde unser Gehirn in Schockstarre verfallen und nach dem erstbesten verbalen Rettungsring greifen. Die wahre Authentizität liegt nicht im ersten Wurf, sondern in der geduldigen Suche nach den Worten, die unserer Erfahrung gerecht werden. Das ist keine Verfälschung, sondern eine Verfeinerung. Es ist, als müssten wir den passenden Text für das Gefühlte erst mühsam aus den Klischees herausschälen. Oder als würden wir ein kostbares Instrument erst stimmen, damit es genau den Ton trifft, den wir im Kopf hören.
Also ja, fühlen wir! Intensiv und ehrlich. Aber wenn Sie diese Gefühle aufschreiben, seien Sie gnädig mit sich und besonders mit Ihren Lesenden. Geben Sie sich die Zeit, durch die Klischee-Wolken zu den präzisen Beschreibungen vorzudringen. Denn oft ist der 2. oder 23. Gedanke der authentischere – auch wenn der 1. sich echter anfühlte.
Und wer weiß – vielleicht entdecken Sie dabei sogar neue Facetten Ihrer Erfahrung, die Ihnen vorher gar nicht bewusst waren. Denn genau das ist ja das Schöne am Schreiben: Es ist nicht nur Ausdruck, sondern auch Erkenntnis. Auch wenn das Ihre Gefühle vielleicht anders sehen.
„Proaktiv optimieren“ – oder wie man im Business authentisch klingt
Das gleiche Phänomen begegnet uns übrigens täglich in der Geschäftswelt. Auch hier greifen wir oft reflexartig zu abgenutzten Formulierungen, die wir für „professionell“ halten – weil sie alle benutzen. Aber genau deshalb sind die Phrasen tot.
„Sehr geehrte Damen und Herren, mit großem Interesse habe ich Ihre Ausschreibung gelesen…“ – wer hat beim Lesen dieser Zeilen nicht schon innerlich abgeschaltet? Oder denken Sie an Formulierungen wie „synergetische Effekte nutzen”, „proaktiv agieren“ oder „zukunftsorientierte Lösungen implementieren“. Das sind die Business-Äquivalente zu den „zerbrochenen Herzen“ aus der Schreibwerkstatt.
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Projektleiterin sollte kürzlich die Erfolge ihres Teams präsentieren. Ihr erster Entwurf war gespickt mit „optimierten Prozessen“ und „maximierter Effizienz“. Nach einem Text-Coaching erzählte sie stattdessen, wie ihr Team die Wartezeit für Kunden von 9 auf 4 Minuten reduziert hatte. Und die Reklamationen von 20 auf 5 pro Woche. Das war konkreter und bleibt deshalb besser im Gedächtnis. Show, don‘t tell – nennen es die Amerikaner.
Die Herausforderung ist die gleiche wie in der Schreibwerkstatt: Wir müssen durch den Nebel der Standardformulierungen zu den Worten finden, die ausdrucksstark beschreiben, was wir erreicht haben und erreichen wollen. Denn auch im Business gilt: Attraktive Texte entstehen nicht durch das Kopieren vermeintlich professioneller Floskeln, sondern durch präzise, ehrliche und lebendige Sprache. Und das ist im Zeitalter der KI noch wichtiger und richtiger, als es immer schon war. Denn die KI kann sich nicht selbst fragen, ob sie es wirklich so erlebt hat – und damit auch nicht selbst „tiefer hineinfühlen“. Und da wird’s spannend.
Kann KI mitfühlen? Spoiler: muss sie gar nicht
„Digital Empathy“ ist eines der neuen Buzzwords im Kundenmanagement. Es meint die Simulation von „Mitgefühl“ durch KI Sprachmodelle. Als ich einem befreundeten Lehrer davon erzählte, sagte er: „Für mich ist das ärgerliche Täuschung, denn Maschinen fühlen ja nichts.“ Da hat er natürlich recht. Nur: Auch ein menschlicher Beschwerdemanager weint nicht bei jeder seiner 2.000 verärgerten monatlichen Kundenanfragen. Es geht bei Geschäftskorrespondenz meist nicht um Empathie im Sinne des persönlichen Mitfühlens, sondern mehr um eine Art professionelle Höflichkeit. Um das wichtige Signal gegenüber den Beschwerenden: Wir haben als Unternehmen verstanden, was du willst, und wollen angemessen reagieren. Es geht hier also um kognitive und nicht um emotionale Empathie.
Das macht es auch im Beschwerdemanagement so wichtig, nicht mit übertriebener Kumpelhaftigkeit oder überschwänglicher Freundlichkeit zu agieren. Studien zeigen, dass die sogenannte „interaktionale Gerechtigkeit“, also die wahrgenommene Fairness im Umgang und Sprachstil, zwar wichtig ist. Aber zu starke informelle Nähe oder „Buddy Talk“ die Erwartungen an Seriosität und Problemlösung gefährden können.
Digitale Empathy ist also eher die Dressur der KI zu angemessener Reaktion eines Unternehmens – insbesondere durch Vermeiden von Kränkung und psychologische Fehler im Umgang mit dem Gegenüber. Und da braucht es viel Geschick und Prompt-Know-how. In einem unserer nächsten Wlog-Beiträgen können Sie etwas dazu lesen.
"I hope this email finds you well" – Warum KI von Natur aus langweilig textet
KI produziert von Haus aus klischeehafte Texte – das liegt in der Natur ihres Trainings. „Ich hoffe es geht ihnen gut“ … ist eine übliche Einstiegsfloskel für Mailentwürfe der KI. Es ist die Übersetzung einer der häufigsten englischsprachigen Brieffloskeln. Da diese Floskel in der englischsprachigen Korrespondenz sehr verbreitet ist und die KI damit trainiert wurde, verwendet sie das als Standardeinleitung.
Das führt also zu der Erkenntnis: Wenn KI-Texte wirklich „authentisch“ sind – dann sind sie klischeehaft. Denn das ist ihr „wahres“ Wesen (ein bisschen so wie unsere ersten Einfälle ;-). Also das Gegenteil von dem, was wir wollen. Und das führt direkt zur interessanten Herausforderung: Wie können wir KI nutzen – ohne klischeehafte Texte zu schreiben. Die (zu) einfache Antwort: indem wir der KI sagen, sie soll nicht klischeehaft texten. Dann gibt sie sich zwar Mühe, aber sie weiß natürlich nicht in welche Richtung es gehen soll. Einfach nur nicht klischeehaft zu sein – das reicht noch nicht aus.
Wie KI uns trotzdem zu starken Texten verhelfen kann – 3 praktische Rollen
Die gute Nachricht: Obwohl KI von Natur aus klischeehaft textet, können wir genau das zu unserem Vorteil nutzen. Wir müssen sie nur richtig einsetzen. Hier sind 3 Rollen, in denen KI uns tatsächlich weiterbringt – ohne dass wir ihre Texte einfach kopieren.
1) KI als Ideengeber
Manchmal sitzen wir vor einem Text und uns fällt einfach nichts ein. Oder nur immer dasselbe. Hier kann KI als Materiallieferant fungieren – nicht für fertige Formulierungen, sondern für Denkansätze.
Ein Beispiel: Sie müssen einen Newsletter-Einstieg über Zeitmanagement schreiben. Ihr erster Gedanke: „In unserer hektischen Zeit wird gutes Zeitmanagement immer wichtiger…“ Gähn. Jetzt fragen Sie die KI: „Gib mir fünf ungewöhnliche Metaphern für schlechtes Zeitmanagement – aus Bereichen wie Kochen, Gärtnern oder Handwerk.“
KI liefert unter anderem: „Ein Tag ohne Struktur ist wie ein Auflauf ohne Rezept – am Ende haben Sie zwar etwas auf dem Teller, aber niemand will es essen.“
Ist das perfekt? Nein. Können Sie damit arbeiten? Absolut. Vielleicht wird daraus bei Ihnen: „Kennen Sie das? Abends haben Sie viel erledigt, aber irgendwie das Falsche. Wie ein Auflauf, bei dem Sie vergessen haben, dass Ihre Familie kein Gemüse isst.“ Nicht genial, aber deutlich besser als „In unserer hektischen Zeit…“
2) KI als Kritikerin
Das ist die wichtigste Rolle – und die, die am besten funktioniert. Denn KI kennt alle Klischees dieser Welt. Sie wurde damit trainiert. Also lassen Sie sie genau das tun: Klischees erkennen.
Der Prompt ist simpel: „Bewerte diesen Text auf einer Skala von 1 bis 10, wie klischeehaft er ist. Markiere die schwächsten Formulierungen und erkläre, warum sie nicht funktionieren.“
Nehmen wir einen typischen Beschwerde-Antwort-Entwurf: „Sehr geehrte Frau Müller, wir bedauern außerordentlich, dass Sie mit unserem Service nicht zufrieden waren. Ihre Zufriedenheit liegt uns sehr am Herzen. Wir werden alles daransetzen, eine zufriedenstellende Lösung zu finden.“
Die KI antwortet ungefähr so: „7/10 auf der Klischee-Skala. Probleme: ‘außerordentlich bedauern’ – Standard-Floskel, klingt nach Textbaustein. ‘Liegt uns am Herzen’ – wird in 90 % aller Beschwerdemails verwendet, hat null Glaubwürdigkeit mehr. ‘Zufriedenstellende Lösung finden’ – unkonkret, Worthülse, sagt eigentlich nichts.“
Aua. Aber hilfreich. Denn jetzt sehen Sie schwarz auf weiß, was nicht funktioniert. Und das Schöne: Die KI nimmt es nicht persönlich, wenn Sie ihr schlechte Texte zeigen. Sie können sie mit jedem Entwurf füttern, egal wie peinlich.
Noch besser wird es, wenn Sie spezifischer werden: „Welche 3 Wörter in diesem Text würdest du als überflüssiges Business-Deutsch einstufen?“ Oder: „Wo in diesem Text verstecke ich mich hinter Passivkonstruktionen, statt klar zu sagen, was Sache ist?“
Die KI wird gnadenlos ehrlich. „Wir werden alles daransetzen“ – passiv, schwammig. „Es wurde festgestellt“ – von wem? „Es kam zu Verzögerungen“ – warum nicht: “Wir haben uns verspätet“?
Diese Rolle als Klischee-Wächterin ist Gold wert. Weil sie das kann, was wir selbst oft nicht können: Unsere eigenen Formulierungen kritisch sehen. Wir sind textblind für unsere Phrasen. Die KI nicht.
3) KI als Sparringspartnerin
Am produktivsten wird es, wenn Sie mit der KI in einen echten Dialog gehen. Nicht nur: „Schreib mir was“ oder „Kritisiere das“, sondern ein Hin und Her.
Zum Beispiel so:
Sie: „Hier ist mein Entwurf für einen Absatz über Teamarbeit: ‘Unser Team arbeitet Hand in Hand, um gemeinsam die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. ‘Was ist daran schwach?“
KI: „3 Probleme: ‘Hand in Hand’ – abgegriffene Metapher. ‘Gemeinsam’ und ‘Team’ sagen dasselbe. ‘Bestmögliche Ergebnisse’ – Phrasendrescherei. Was genau macht Ihr Team?“
Sie: „Wir entwickeln Software für kleine Unternehmen. Ein Entwickler, eine Designerin, ein Projektmanager.“
KI: „Dann werden Sie konkret: Was passiert in der Zusammenarbeit? Gibt es einen typischen Moment, wo das gut läuft?“
Sie: „Eigentlich diese Montag-Morgen-Runde, wo wir die Woche planen. Dauert 15 Minuten, alle wissen danach, woran die anderen arbeiten.“
KI: „Perfekt! Das ist Ihr Text: ‘Jeden Montag, 15 Minuten: Ein Entwickler, eine Designerin, ein Projektmanager synchronisieren die Woche. Danach weiß jeder, woran die anderen arbeiten – und was bis Freitag fertig sein muss.’“
Sie: „Okay, aber ‘synchronisieren’ ist doch auch so ein Buzzword?“
KI: „Stimmt. Wie wäre: ‘klären ab’ oder ‘besprechen’?“
Im Widerspruch liegt die Kraft
Sehen Sie, was passiert? Sie sind im Gespräch. Die KI stellt Fragen, die Sie zum Nachdenken bringen. Sie liefert Vorschläge, die Sie kritisieren können. Und am Ende haben Sie einen Text, den weder Sie noch die KI allein so formuliert hätten.
Das funktioniert besonders gut, wenn Sie der KI auch mal widersprechen. „Nein, das klingt zu technisch“ oder „Das passt nicht zu unserem Ton.“ Die KI ist nicht beleidigt. Sie passt sich an. Und genau in diesem Prozess – im Verwerfen, Anpassen, Neuformulieren – entsteht der authentische Text.
Das ist die Ironie der Sache: KI kann uns helfen, authentischer zu klingen – indem wir sie als das nutzen, was sie ist: Ein Klischee-Generator, der uns zeigt, was wir NICHT schreiben sollten. Authentizität entsteht nicht durch Gefühlsduselei oder den ersten Einfall, sondern durch die Bereitschaft, den eigenen Text kritisch zu hinterfragen. Und ja, dafür dürfen Sie gerne eine Maschine zu Rate ziehen.
Am Ende ist es ganz einfach: Sie entscheiden, welche Texte gut sind. Und genau in dieser Entscheidung liegt die Authentizität – nicht im ersten Gefühl, nicht im KI-Output, sondern in Ihrem letzten Wort.
Axel Ebert, Partner bei wortwelt® und identifire®
Axel Ebert – „der mit dem Wort tanzt.“ Wortpflanzungswillig initiierte er 2001 die wortwelt®. Der Psychologe brachte bereits 1995 Wording-Know-how aus den USA mit. In über 150 wortwelt-Projekten für Unternehmen und Verwaltungen hat er sich als „Letter-Man“ etabliert.
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